Totgesagte leben ja bekanntlich länger, so natürlich auch die High Fidelity. Quasi auferstanden wie Phönix aus der Asche. Nach meinem Beitrag High Fidelity ist tot gab es ja durchaus muntere Diskussionen, nicht zuletzt auf den Norddeutschen Hifi-Tagen in Hamburg...

Zeit also, an dieses Thema anzuknüpfen! Wenn mich meine Erinnerung nicht allzu sehr trügt, dann liegt das gefühlte Durchschnittsalter der Besucher auf Veranstaltungen wie den Hifi-Tagen oder der High-End in München bei deutlich über 50 Jahren. Und wenn die High Fidelity weiterleben soll, braucht sie unbedingt frisches Blut, sprich: Es gilt, ein jüngeres Publikum zu erreichen, anzusprechen und zu begeistern. Und dauerhaft zu binden! Das Begeistern gelingt zwar durchaus mit Gerätschaften im Zig-Kilo-Euro-Bereich, allerdings bleibt bei derlei hohen "Eintrittsbarrieren" die Bindung junger Menschen an das Hobby Hifi aus. Ergo: Das Smartphone wird weiterhin in die Dockingstation geklemmt und Musik über Desktop-Brüllwürfel konsumiert...
Für mich persönlich ergab sich jüngst ein ganz konkreter Anlass, einem Bekannten mit Rat zur Seite zu stehen, und zwar ausgerechnet (m)einem Andrea Berg und Helene Fischer-Hörer, der bereits hier zumindest indirekt in Erscheinung getreten ist... Na ja, er hört ja auch andere Sachen. Offenbar irgendwie angefixt (steter Tropfen höhlt eben doch den Stein) fragte er mich, was denn so eine Anlage - eine, unter der ich "Hifi" verstehe - koste. Nach meiner etwas vagen, zögerlichen Antwort platzte irgendetwas in der Art ´Alter, das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?!´ oder so ähnlich aus ihm heraus. Ob es denn nicht auch billiger ginge, wollte er wissen. Seine große Tochter sei ausgezogen, das Zimmer umfunktioniert zum Arbeitszimmer und Platz für "so eine" Anlage sei auch noch, aber das Limit liege bei maximal 1.000 Euro. Für Röhrenverstärker, Plattenspieler, Lautsprecher und "Kabelgedöns", alles was man für eine komplette Kette eben braucht.
Damit hatte ich die Torte also im Gesicht und ich erklärte ihm, dass ich mir mal was überlegen würde. Der hartgesottene High-Ender hätte diesem Unterfangen natürlich sofort eine Absage erteilt, aber hey - etwas mehr Bodenhaftung stünde uns allen hier und da ganz gut zu Gesicht (siehe oben). Mittlerweile hört er nämlich äußerst begeistert seine alten Rockscheiben mit folgender Kette:
Verstärker: Dynavox VR-20
Den kleinen Ableger des VR-70 (welchen ich vor gefühlten Äonen selbst einmal besaß) gibt es bereits für unter 400 Euro. Ein kleiner Gegentakter mit der 6P6P bzw. 6V6, der eine inflationär hohe Ausgangsleistung von 10 Watt an seine Klemmen bringt - das reicht für alle Lebenslagen. Für´s aufgerufene Geld eine sehr anständige Kiste, über deren kleine (auslegungstechnische) Mängel wir den Deckmantel des Schweigens hüllen und großzügig darüber hinwegsehen. Bitte nicht falsch verstehen: Außer in China kann man für dieses Geld sicher keinen kompletten Röhrenverstärker bauen und für 400 Euro ist er damit auch angesichts seines anständigen Klangs ein klarer Most-bang-for-the-buck Kandidat.

Wer die Kiste lieb gewinnt und mutig ist, tauscht die mitgelieferten Endröhren gegen NOS-Teile von GE (6V6); ein gematchtes Quad gibt´s in Amiland für einen schlappen Hunderter. Auf der Spielwiese namens Tuberolling gibt es also durchaus noch gewisses Optimierungspotenzial, was hier jedoch mit Blick auf das enge Budget außer Betracht bleibt.
Plattenspieler: Pro-Ject Elemental Phono USB
Ich meine es wirklich ernst. Dieser minimalistische Dreher ist seine 250 Euro mehr als wert - hier machen sich die hohe Fertigungstiefe und die gigantische "Bauteilekiste" des weltweit größten Plattenspielerherstellers im wahrsten Sinne des Wortes bezahlt. Praktischerweise hat er gleich eine kleine Phonokarte integriert und kann direkt mit dem Hochpegeleingang des Verstärkers verbandelt werden; für eine extra Phonobox mit zusätzlich nötigem Kabel wäre das Budget zu sehr belastet worden.
Der Kniff dieses Plattenspielers liegt in seinem direkt unter dem Plattenteller befindlichen Masseschwerpunkt aus Kunststein; echt pfiffig gemacht, finde ich. Ein vernünftiges, zum Arm und zum Dreher passendes Ortofon OM5 ist vorinstalliert. Das mitgelieferte RCA-Kabel bleibt allerdings gleich im Karton.
"Kabelgedöns"
Für meinen Bekannten sind "Strippen" einfach nur lästiges "Kabelgedöns", was man notwendigerweise eben doch benötigt. Gar nicht aus einem "Kettengedanken" heraus (gleicher Hersteller), sondern einfach, weil es echte Preis-Leistungs-Knüller sind, greifen wir wieder bei Pro-Ject zu. Das NF-Kabel zwischen Dreher und Amp hört auf den Namen Pro-Ject Connect It RCA-C; 82 cm Länge fertig konfektioniert kosten ca. 70 Euro.
Als Lautsprecherkabel wählen wir das Pro-Ject Connect It LS mit konfektionierten Hohlbananas; Kostenpunkt ca. 60 Euro für 2x3 m. Dieses Solid-Core (!) Kabel hat vier massive Leiter à 1 mm2 Querschnitt, von denen zwei pro Pol verdrillt sind. Dieses Kabel macht übrigens auch in weitaus teureren Anlagen eine sehr, sehr gute Figur... Geheimtipp!
Lautsprecher
Nach einem kurzen Kassensturz verbleiben 220 Euro. Dafür kaufen wir uns ein Pärchen des bewährten und altbekannten Treibers Ciare CH250 für 160 Euro.
Mit einem Qts von 1,36 und 96 dB Wirkungsgrad ja geradezu für den Einsatz in einer offenen Schallwand (Open Baffle) prädestiniert, basteln wir uns mit wenig Aufwand genau die. Die restlichen 60 Euro gehen für 25 mm Birkenmultiplex, Holzzuschnitt, ein paar Schrauben und ein Töpfchen OSMO Dekorwachs drauf.
Natürlich gibt es weder eine Entzerrung (igitt! Teufelszeug!) noch ein Lautsprecherterminal. Der puristischen Lehre folgend, knipsen wir kurzerhand die lautsprecherseitigen Bananenstecker am LS-Kabel ab und krimpen kleine Steckerchen (aus dem Car-Hifi-Bereich), um das LS-Kabel direkt an die Anschlussfähnchen des Treibers zu stecken.
Schlussbemerkung
Was diese kleine Kette zu leisten im Stande ist, ist meilenweit von High Fidelity im "klassischen" Sinne entfernt - erfreulicherweise. Purer Spaß, Unmittelbarkeit, Schnelligkeit und direkte Ansprache sind ihre größten Tugenden. Hier legst Du einfach Platte für Platte auf und denkst nicht einmal im Entferntesten daran, abgedroschene Phrasen wie Bass, Mitten, Höhen usw. zu bemühen.
Klar, am Anfang hatte ich Manschetten, einem unbedarften Neugierigen, der eher durch Kompakt-Hifi und Smartphone konditioniert ist (war), für immerhin 1.000 Euro eine solche Kleinanlage zusammenzustellen. Ihm leuchten jetzt die Augen (und Ohren!) und er hat ein neues Hobby. Ich fürchte nur, das war nicht der letzte Rat, um den er mich bat, denn wie wir alle wissen, nimmt der Wahnsinn dieses Hobbys ja jetzt erst seinen Lauf...
EDIT 06.07.2015:
Weil es so schön zu den Kommentaren bzgl. "Kabelgedöns" passt (siehe unten) empfehle ich einen Artikel hierzu von Friedrich Hunold: Audiokabel.